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0067 - Intersport PSC Holding AG

Empfehlung Intersport PSC Holding AG vom 11. August 2000

Öffentliches Kaufangebot der Stancroft Trust Limited, London, für alle sich im Publikum befindenden Namenaktien der Intersport PSC Holding AG , Ostermundigen – Due Diligence des konkurrierenden Anbieters

A.
Die Intersport PSC Holding AG (Intersport PSC) ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Ostermundigen. Ihr Aktienkapital beträgt CHF 22'000'000.-- und ist eingeteilt in 440'000 Namenaktien von je CHF 50.-- Nennwert. Die Namenaktien sind an der Schweizer Börse kotiert.

B.
Am 13. Juni 2000 kündigte Intersport Deutschland eG (Intersport Deutschland), Heilbronn, an, dass sie den Aktionären der Intersport PSC ein öffentliches Kaufangebot zum Preis von CHF 105.-- pro Namenaktie unterbreiten werde. Der Angebotsprospekt wurde am 12. Juli 2000 veröffentlicht.

C.
Am 27. Juli 2000 publizierte die Stancroft Trust Limited (Stancroft), London, die Voranmeldung eines Angebotes an die Aktionäre der Intersport PSC zum Preis von CHF 109.-- pro Namenaktie. In der Voranmeldung behielt sich Stancroft das Recht vor, eine Due Diligence-Prüfung durchzuführen und den angebotenen Kaufpreis je nach Ergebnis dieser Prüfung herabzusetzen. Gemäss Voranmeldung beabsichtigt Stancroft, ihren Angebotsprospekt am 11. August 2000 zu veröffentlichen.

D.
Nach Veröffentlichung ihrer Voranmeldung teilte Stancroft Intersport PSC mit, sie beanspruche das Recht, gestützt auf Art. 48 UEV-UEK wie Intersport Deutschland eine Due Diligence-Prüfung in den Räumlichkeiten der Intersport PSC durchführen zu können. Stancroft und Intersport PSC konnten sich aber weder über den Umfang der Prüfung noch darüber einigen, inwiefern die Geheimhaltungspflicht der Stancroft betreffend den bei der Durchführung der Prüfung erlangten Informationen zum Tragen kommt. Stancroft ist der Auffassung, ihr Einsichtsrecht erstrecke sich auf die Sitzungsprotokolle des Verwaltungsrates der Intersport PSC. Zudem sei sie berechtigt, die durch die Due Diligence erhaltenen Informationen im Rahmen von gerichtlichen oder verwaltungsrechtlichen Verfahren zu verwenden. Intersport PSC hingegen ist der Ansicht, dass die Sitzungsprotokolle des Verwaltungsrates von der Due Diligence-Prüfung auszuschliessen und die erhaltenen Informationen nur auf Verlangen an Gerichte oder Behörden offenzulegen seien. Wegen diese Meinungsverschiedenheiten verweigerte Intersport PSC Stancroft den Zutritt zu ihren Räumlichkeiten.

E.
Am Samstag, 5. August 2000 beantragte Stancroft der Übernahmekommission, Intersport PSC sei aufzufordern, ihren Vertretern den Zutritt zum Datenraum zu gewähren.

F.
Mit Empfehlung vom 7. August 2000 traf der Ausschuss bestehend aus Herrn Ulrich Oppikofer (Präsident), Frau Claire Huguenin und Frau Maja Bauer-Balmelli folgende vorsorglichen Massnahmen

  1. Intersport PSC hat Stancroft unverzüglich die Durchführung einer Due Diligence-Prüfung in ihren Räumlichkeiten zu ermöglichen.

  2. Die Sitzungsprotokolle des Verwaltungsrates der Intersport PSC sind von dieser Prüfung bis zum Erlass einer Empfehlung über den Umfang des Einsichtsrechts der Stancroft ausgeschlossen.

  3. Stancroft ist es bis zum Erlass der in Ziff. 2 erwähnten Empfehlung verboten, die durch die Due Diligence erhaltenen Informationen an eine andere Partei als ihre jetzigen Berater weiterzugeben.

G.
Der Ausschuss hat heute erneut getagt, um eine Empfehlung zum Umfang des Einsichtsrechts und der Geheimhaltungspflicht zu erlassen.

 

Die Übernahmekommission zieht in Erwägung:

1. Umfang der Due Diligence-Prüfung

1.1 Gemäss Art. 48 UEV-UEK hat die Zielgesellschaft im Falle konkurrierender Angebote den Grundsatz der Gleichbehandlung gegenüber allen Anbietern zu wahren und diesen insbesondere die gleichen Informationen zur Verfügung zu stellen. Eine Ungleichbehandlung einzelner Anbieter ist nur mit Zustimmung der Übernahmekommission möglich, wenn die Zielgesellschaft ein überwiegendes Gesellschaftsinteresse nachweist.

Es ist unbestritten, dass Intersport Deutschland bei Intersport PSC eine Due Diligence-Prüfung durchführen konnte und Stancroft dasselbe Recht zugestanden werden muss. Stancroft und Intersport PSC können sich jedoch über den Umfang dieses Einsichtsrechts nicht einigen. Stancroft verlangt Einsicht in die Sitzungsprotokolle des Verwaltungsrates der Intersport PSC ab 1. Januar 1997. Intersport PSC hingegen verweigert dies mit der Begründung, Intersport Deutschland habe keine Einsicht in diese Dokumente genommen. Zwar sei ein Verwaltungsratsmitglied der Intersport PSC auch Mitglied des Vorstandes der Intersport Deutschland. Diese Person sei aber dem Geschäftsgeheimnis unterstellt und es gebe keine Hinweise dafür, dass sie dieses in irgendeiner Weise verletzt habe.

1.2 Der Gleichbehandlungsgrundsatz von Art. 48 Abs. 1 UEV-UEK ist materieller und nicht formeller Natur. Entscheidend für dessen Einhaltung ist nicht, ob allen Anbietern Einsicht in dieselben Dokumente gewährt wurde. Vielmehr ist sicherzustellen, dass die konkurrierenden Anbieter Zugang zu den gleichen Information hatten. Allein die Tatsache, dass Intersport Deutschland keinen Zugriff auf die Sitzungsprotokolle des Verwaltungsrates der Intersport PSC hatte, genügt nicht, um das Einsichtsrecht der Stancroft in diese Dokumente auszuschliessen. Vielmehr gilt zu berücksichtigen, dass Intersport Deutschland und Intersport PSC zur selben Organisation gehören, seit Juli 1999 über einen möglichen Zusammenschluss verhandeln und Intersport Deutschland im Verwaltungsrat der Intersport PSC vertreten ist. Üblicherweise gehören Sitzungsprotokolle des Verwaltungsrates zu den Dokumenten, die Gegenstand einer Due Diligence-Prüfung sind. Der Verzicht der Intersport Deutschland, diese Dokumente einzusehen, ist deshalb ungewöhnlich und lässt es als möglich erscheinen, dass sie über deren wesentlichen Inhalt durch Intersport PSC orientiert war. Diese Annahme erscheint - ohne an der Einhaltung der Schweigepflicht des Vorstandsmitgliedes der Intersport Deutschland im Verwaltungsrat der Intersport PSC zu zweifeln - im Rahmen von Verhandlungen bei freundlichen Übernahmen legitim und naheliegend. Aus diesem Grund ist gemäss dem Grundsatz der Gleichbehandlung Stancroft Einsicht in die Sitzungsprotokolle des Verwaltungsrates ab 1. Januar 1997 zu gewähren.

Der Intersport PSC steht das Recht zu, gestützt auf Art. 48 Abs. 2 UEV-UEK und mit Zustimmung der Übernahmekommission die Übermittlung von einzelnen Sitzungsprotokollen oder Auszügen davon an Stancroft zu verweigern, wenn sie ein überwiegendes Gesellschaftsinteresse nachweisen kann. Intersport PSC wird eingeladen, ein solches Gesuch innerhalb von drei Börsentagen ab Erlass der heutigen Empfehlung bei der Übernahmekommission einzureichen. Nach Ablauf dieser Frist ist Stancroft ein unbeschränktes Einsichtsrecht in die Sitzungsprotokolle zu gewähren.

2. Umfang der Geheimhaltungspflicht

2.1 Stancroft und Intersport PSC sind sich über den Umfang der Geheimhaltungspflicht der Stancroft betreffend die durch die Due Diligence-Prüfung erlangten Informationen nicht einig. Stancroft möchte sich das Recht einräumen lassen, die durch diese Prüfung erhaltenen Informationen im Rahmen von gerichtlichen oder verwaltungsrechtlichen Verfahren verwenden zu dürfen. Intersport PSC hingegen ist der Meinung, dass die erhaltenen Informationen nur auf Verlangen gegenüber Gerichten oder Behörden offengelegt werden dürften. Sie macht geltend, dass Intersport Deutschland sich in einer Vertraulichkeitserklärung verpflichtet hat, die im Rahmen ihrer Due Diligence-Prüfung erlangten Informationen "für keinen anderen Zweck [zu verwenden] als in Verbindung mit der Evaluation und Durchführung der oben erwähnten Transaktion". Dies solle auf Grund des Gleichbehandlungsprinzips auch für Stancroft gelten. Folglich solle letztere nicht berechtigt sein, die durch die Due Diligence erlangten Informationen für einen anderen Zweck als die Evaluation oder die Durchführung des Angebotes zu benutzen, wie zum Beispiel für das Begründen einer Verantwortlichkeitsklage oder eines anderen Verfahrens.

2.2 Art. 48 UEV-UEK sieht nicht ausdrücklich vor, dass die in Anwendung von dieser Bestimmung erlangten Informationen vertraulich zu behandeln sind. Die Pflicht zur Geheimhaltung solcher Informationen ist jedoch implizit darin enthalten. Treu und Glauben verlangen, dass die nicht öffentlich zugänglichen Informationen, die aus Gründen der Gleichbehandlung übermittelt werden, nur unter der Bedingung offengelegt werden können, dass sie vertraulich behandelt werden. Die Parteien bestreiten dies nicht. Da die Schweigepflicht konkurrierender Anbieter aus Art. 48 UEV-UEK resultiert, ist die Übernahmekommission gemäss Art. 23 Abs. 3 BEHG zuständig, um sich zu deren Umfang zu äussern.

2.3 Die Ansicht von Intersport PSC, dass in casu der Gleichbehandlungsgrundsatz die Verwendung der im Rahmen der Due Diligence-Prüfung erlangten Informationen ausschliesst, kann nicht geteilt werden. Der Gleichbehandlungsgrundsatz bestimmt einzig den Umfang des Einsichtsrechts des konkurrierenden Anbieters. Er ist in Bezug auf die Frage der Verwendung der erlangten Informationen nicht relevant. Hierfür gilt vielmehr zu beachten, dass die Sicherstellung eines effizienten Marktes für Unternehmenskontrolle einem öffentlichen Interesse entspricht (siehe Empfehlung in Sachen Baumgartner Papiers Holding SA vom 4. Juli 2000, E. 1.4.1). Mit anderen Worten: Es liegt im öffentlichen Interesse, dass Vorschriften betreffen das Verhalten von Zielgesellschaften im Rahmen eines Übernahmekampfes eingehalten und allenfalls vor Gerichten und Behörden durchgesetzt werden können. Genau dieses Ziel wird aber verfehlt, wenn es einem konkurrierenden Anbieter verboten wäre, die im Rahmen einer Due Diligence-Prüfung erlangten Informationen in Verfahren zu verwenden, welche für die Durchsetzung des Übernahmerechts notwendig sind. Aus diesem Grund kann es nicht dem vorhergehenden Anbieter zustehen, mit einer – allenfalls restriktiven – Vertraulichkeitserklärung den Verwendungszweck von solchen Informationen für den konkurrierenden Anbieter zu definieren.

Das Argument von Intersport PSC, wonach Stancroft für das Einleiten von Verfahren eine Sonderprüfung nach Art. 697a Abs. 1 OR beantragen könne, ist nicht relevant. Entgegen der Behauptung der Intersport PSC gehen die Bestimmungen von Art. 697a ff. OR Art. 48 UEV-UEK nicht vor. Im Rahmen eines konkurrierenden Angebotes ist Art. 48 UEV-UEK als weiteres, die aktienrechtlichen Auskunftsrechte ergänzendes Recht der Inhaber von Beteiligungspapieren zu qualifizieren. Dieses bezweckt, die Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und des öffentlichen Interesses an einem effizienten Markt für Unternehmenskontrolle sicherzustellen.

Der Antrag der Intersport PSC, den Verwendungszweck der von Stancroft im Rahmen der Due Diligence-Prüfung erlangten Informationen einzuschränken, wird folglich abgewiesen.

3. Publikation

Die vorliegende Empfehlung wird am ersten Börsentag nach Eröffnung an die Parteien – d.h. am 14. August 2000 – auf der Webseite der Übernahmekommission veröffentlicht.

4. Gebühr

In Anwendung von Art. 23 Abs. 5 BEHG und Art. 62 Abs. 5 und 6 UEV-UEK wird für den Erlass dieser Empfehlung eine Gebühr zu Lasten von Intersport PSC erhoben. Die Gebühr wird auf CHF 10'000.-- festgelegt.

 

Gestützt auf diese Erwägungen erlässt die Übernahmekommission folgende Empfehlung:

  1. Intersport PSC Holding AG hat Stancroft Trust Limited spätestens ab 17. August 2000 in ihren Räumlichkeiten Einsicht in die Sitzungsprotokolle des Verwaltungsrates ab 1. Januar 1997 zu gewähren.

  2. Stancroft Trust Limited ist es untersagt, die durch die Due Diligence erhaltenen Informationen an Dritte weiterzugeben, unter Ausschluss von

    • ihren dem Berufsgeheimnis oder einer gleichwertigen Geheimhaltungspflicht unterstellten Beratern und

    • Gerichten und Behörden, die dem Amtsgeheimnis oder einer gleichwertigen Geheimhaltungspflicht unterstehen.

  3. Die vorliegende Empfehlung wird am 14. August 2000 auf der Webseite der Übernahmekommission veröffentlicht werden.

  4. Die Gebühr zur Lasten der Intersport PSC Holding AG beträgt CHF 10'000.--.

 

Der Präsident des Ausschusses:

Ulrich Oppikofer

 

Die Parteien können diese Empfehlung ablehnen, indem sie dies der Übernahmekommission spätestens fünf Börsentage nach Empfang der Empfehlung schriftlich melden. Die Übernahmekommission kann diese Frist verlängern. Sie beginnt bei Benachrichtigung per Telefax zu laufen. Eine Empfehlung, die nicht in der Frist von fünf Börsentagen abgelehnt wird, gilt als von den Parteien genehmigt. Wenn eine Empfehlung abgelehnt, nicht fristgerecht erfüllt oder wenn eine genehmigte Empfehlung missachtet wird, überweist die Übernahmekommission die Sache an die Bankenkommission zur Eröffnung eines Verwaltungsverfahrens.


Mitteilung an:

  • Stancroft Trust Limited, durch ihren Vertreter,
  • Intersport PSC Holding AG, durch ihren Vertreter,
  • Intersport Deutschland eG, durch ihren Vertreter,
  • EBK.

Diese Empfehlung wurde von Intersport PSC Holding AG abgelehnt. Die EBK hat in dieser Angelegenheit mit Verfügung der EBK vom 19. September 2000 entschieden.